Karate-dô

Was ist Karate-dô?
Karate-dô ist keine Theorie und keine Ideologie.
Karate ist Lebenspraxis.

Karate ist in seinem Wesen eine Gestalt der alten japanischen Kriegs-/Kampfkünste (budô).

Karate-dô ist ein spiritueller Weg (dô). Alle Kampfkünste in der Tradition der Samurai (wörtlich: „dienen“. Kriegeradel im feudalen Japan) sind untrennbar mit der Lehre des ZEN verbunden: Als Zen von Indien über China den Weg nach Japan fand, traf es auf ein kriegserprobtes und kriegsgewohntes Volk. Der Geist des Zen verwandelte die Kriegs-Techniken in Kriegs-Künste. Neben den effektiven Kampf trat die Suche nach dem eigenen Selbst. Der reale Kampf wurde auch ein Kampf mit dem eigenen Ich. Der Samurai fand im Zen-Buddhismus die Antwort auf Leben und Tod.

Bushidô, der Weg des Kriegers, steht für moralische Prinzipien, den Ehrenkodex, die ritterlichen Tugenden (körperliche und seelische Qualitäten): Mut, Einfachheit, Genügsamkeit, Loyalität, Eintreten für Gerechtigkeit, Zurückstellen der eigenen Bedürfnisse und Todesverachtung.

Im Karate lebt das chinesische Lebenskraftkonzept Qi/Ki, das seinen Ursprung im 7. Jahrhundert v. Chr. hat. Karate will das Ki, die vitale Energie wecken. Das alte Zeichen für Qi ist: Nebel über dem Reisfeld. Das Logo des KSCN, der Kranich ist ein altes, daoistisches Symbol für Langlebigkeit. Auch in dem Stil shôtôkan verbirgt sich ein Symbol für Langlebigkeit: shôtô = Rauschen der Kiefer.

Prägend für Karate-dô ist Gichin Funakoshi (1868-1957). Er verweist auf die Wurzeln des Karate im Shaolin-Kloster, wo die Mönche von dem indischen Meister Bodhidharma Zen-Meditation und Kung-Fu lernten. Weil seine Jünger körperlich nicht in der Lage waren, aufrecht und konzentriert zu sitzen und schnell erschöpft waren, befahl er ihnen, das körperliche Training, dass ihre Seelen und Körper fähig werden, dem Weg Buddhas zu folgen. Körper und Geist sind untrennbar eins. Deshalb muss beides geübt und entwickelt werden.

Karate hat seine Wurzeln in Okinawa. Die Insel liegt geographisch zwischen Japan, Taiwan und China. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts ließ der japanische Shôgun (militärischer Anführer aus der Kaste der Samurai) die Insel unterwerfen. Das Waffenverbot für Einheimische wurde erneuert. Im Austausch mit chinesischen Kampfkünsten entstand eine wirkungsvolle Form der Selbstverteidigung, die im Geheimen geübt wurde. Es wurde Grundlage für das, was wir als Karate kennen. Funakoshi offenbarte es 1901 auf Okinawa und 1922 auf der japanischen Hauptinsel.


Die zwanzig Paragraphen des Karate-dô

Die bedeutendste Schrift zur Lehre des Karate-dô sind die »Die zwanzig Paragraphen des Karate-dô« von Funakoshi Gichin (1868-1957). Sie sind stilübergreifend anerkannt und nachzuweisen. Die Übersetzung folgt weitgehend Schlatt (»Enzyklopädie des Shôtôkan-Karate«).

  1. Karate beginnt mit rei (Respekt, Höflichkeit) und endet mit rei.
  2. Im Karate gibt es kein Zuvorkommen.
  3. Karate ist ein Helfer der Gerechtigkeit.
  4. Erkenne dich selbst zuerst, dann den Anderen.
  5. Die Kunst des Geistes kommt vor der Kunst der Technik.
  6. Lerne, deinen Geist zu kontrollieren, und befreie ihn dann.
  7. Unheil entsteht durch Nachlässigkeit.
  8. Karate findet nicht nur im dȏjȏ (der Ort an dem die Schüler den Weg üben) statt.
  9. Die Ausbildung im Karate geht ein Leben lang.
  10. Verbinde dein alltägliches Leben mit Karate, das ist der Zauber der Kunst.
  11. Karate ist wie heißes Wasser, das abkühlt, wenn du es nicht ständig wärmst.
  12. Denke nicht ans Gewinnen, doch denke darüber nach, wie du nicht verlierst.
  13. Wandle dich abhängig vom Gegner.
  14. Der Kampf hängt von der Handhabung des Treffens und des Nicht-Treffens ab.
  15. Stelle dir deine Hand und deinen Fuß als Schwert vor.
  16. Wenn man das Tor der Jugend verlässt hat man viele Gegner.
  17. Das Einnehmen einer Haltung gibt es beim Anfänger, später gibt es den natürlichen Zustand.
  18. Übe die kata korrekt, im echten Kampf ist das eine andere Sache.
  19. Vergiss nicht: Hart und weich, Spannung und Entspannung, langsam und schnell, alles in Verbindung mit der richtigen Atmung.
  20. Denke immer nach und versuche dich ständig an Neuem.


Literatur: Siegfried J. Schwemmer, Die Grundsätze des Karate-dȏ. Gichin Funakoshis »Zwanzig Paragraphen des Karate-dȏ« als Anleitung für den spirituellen Weg, 2021


Moving Zen

Vor dem Hintergrund seiner spirituellen Wurzeln lässt sich Karate als Zen in der Bewegung, als ugokizen bezeichnen.

Der Weg (dô) lädt uns ein, uns selbst zu vergessen und das, was wir tun ganz zu tun, mit Leib und Seele. Wer Karate als Weg übt muss sich und seine Ideologien, Vorstellungen und Gedanken an der Tür zum Dȏjȏ (der Ort an dem die Schüler den Weg üben) hinter sich lassen, ganz in die Übung des Karate eintauchen und eins werden mit Karate.

Anmerkung: »Moving Zen. Zen in der Bewegung«, ist der Titel des autobiographischen Berichts von Clive Williams Nicol: »Eine Reise in das Herz des Karate« (Distelhausen, 2. Aufl. 2002).